CONNECTING PORTS #11: Wie treiben Automatisierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit den Wandel der Hafenarbeit voran?

Weltweit schreitet die Transformation der Hafenarbeit voran, aber betroffene Menschen bleiben teilweise zurück. Wie Gleichschritt gelingen kann, diskutierten am 20. März 2025 bei der elften CONNECTING PORTS-Talkshow von HPC vier internationale Expert:innen mit Moderatorin Christina Prieser, Associate Partner bei HPC.

Automatisierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit gelten oft als Druckfaktor für bestehende Jobs. Dabei können Hafenjobs dadurch künftig sogar attraktiver werden – wenn Anwender:innen frühzeitig einbezogen und qualifiziert werden.   

„Entscheidend ist sicherzustellen, dass der Wandel für die Arbeitnehmer:innen fair und integrativ ist, menschenwürdige Arbeit schafft und niemanden zurücklässt“, stellt Ariane Colson vom globalen Netzwerk von Bürgermeistern von mehr als 40 Städten "C40", klar. Mit Sitz in London arbeitet sie mit über 40 führenden Städten und Häfen weltweit zusammen, um die Dekarbonisierung der Schifffahrt voranzutreiben. Zudem koordiniert sie C40s Aktivitäten zu grünen Arbeitsplätzen und einer gerechten Transformation im maritimen Sektor. In der Session stellte sie zentrale Ergebnisse der aktuellen Studie „Green Jobs in Ports and Cities“ vor. 

Die gute Nachricht: Durch die Dekarbonisierung der Schifffahrt könnten dem Global Maritime Forum zufolge bis 2050 bis zu 4 Millionen Jobs entstehen, vor allem im globalen Süden. „Wir haben aber auch festgestellt, dass es eine Qualifikationslücke gibt“, sagt die Expertin. Als Positivbeispiel nennt sie den US-Hafen Seattle, der eng mit der Stadt Seattle und lokalen Hochschulen zusammenarbeitet, um die Qualifizierung für neue grüne Berüfe - etwa im Bereich kohlenstoffarmer Kraftstofftechnologien - gezielt zu fördern. Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass Diversität weiterhin ein Problem darstellt: Frauen, People of Color und ethnische Minderheiten sind in der Branche noch immer unterrepräsentiert – insbesondere in besser bezahlten Positionen.  

Unterdessen wird Günter Schmidmeir immer wieder mit der Frage nach den Auswirkungen von Automatisierung auf Beschäftigung konfrontiert. Doch der Chief Revenue Officer (CRO) bei FERNRIDE, europäischer Marktführer für autonome Lkw-Lösungen in der Hafenlogistik, versteht Automatisierung als Chance. Das Unternehmen verfolgt einen menschlich unterstützen Ansatz: Fernfahrerinnen und Fernfahrer können bei Bedarf die Kontrolle über autonome Lkw übernehmen. Eine Person überwacht dabei mehrere Fahrzeuge aus dem Büro heraus – das sorgt für mehr Sicherheit an Containerterminals, die traditionell als besonders unfallgefährdet gelten: „Wir vernichten keine Arbeitsplätze, sondern wir schaffen andere Beschäftigungsmöglichkeiten.“  

Für die Gewerkschaftsvertreterin Berardina Tommasi sieht der Arbeitsalltag der Hafenarbeiter naturgemäß anders aus. Automatisierung führe in vielen Fällen „zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten“, sagt die politische Referentin für Hafenarbeiter bei der European Transport Workers' Federation (ETF) in Brüssel. Ihr Negativbeispiel ist der Hafen Rotterdam: Dort habe der fortschreitende Automatisierungsgrad zwischen 1989 und 2000 zum Abbau von 1.200 Arbeitsplätzen geführt und zwischen 2000 und 2024 weitere rund 300 Stellen gekostet – insgesamt also 1.500 weggefallene Jobs.

Miguel Montesinos hat Erfahrung aus zahlreichen Digitalisierungsprojekten in Häfen wie Valencia, Barcelona, Algeciras, Piräus oder Malta. Der CEO des spanischen Digitalisierungsspezialisten Prodevelop meint, dass Digitalisierung dabei helfe, „Arbeit leichter zu erledigen und bessere Entscheidungen zu treffen, anstatt Arbeitsplätze zu ersetzen“. Zudem sprechen ihm zufolge neue Berufsbilder - etwa KI-Spezialist oder Cybersicherheitsexpert - Talente an, „die eine innovationsorientierte Karriere anstreben“. Er findet, dass Telearbeit, Fernsteuerung oder hybride Arbeitsmodelle die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und stärken die Mitarbeiterbindung an das Unternehmen.  

Zudem hebt sie einen entscheidenden Punkt hervor: Trotz eines Nettozuwachses an grünen Arbeitsplätzen durch die Dekarbonisierung der Schifffahrt werden die wegfallenden und neu entstehenden Jobs „nicht zwangsläufig von denselben Personen besetzt werden.“ Colson verweist auf die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) der Vereinten Nationen, die schätzt, dass 70 Prozent der gefährdeten Stellen durch Umschulung und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen erhalten werden könnten. Das bedeutet: Es gibt reale Chancen zur Weiterentwicklung der Arbeitskräfte – doch dafür müssen wir gezielt in Qualifizierung investieren, damit Dekarbonisierung im Hafen nicht nur ein technologischer Wandel ist, sondern auch ein inklusiver und gerechter Transformationsprozess, der die Menschen mitnimmt. 

Günter Schmidmeir plädiert für eine differenzierte Sicht auf die schrittweise Automatisierung – insbesondere aus Sicht der Terminalbetreiber. „Wettbewerbsfähig zu bleiben heißt, dem Arbeitskräftemangel aktiv zu begegnen“ – und genau hier setze FERNRIDE mit seinen Lösungen an. Sogar ein Gewerkschaftsvertreter aus Japan habe sich bereits an ihn gewandt, besorgt über die alternde Bevölkerung des Landes. Ein zentrales Thema im gemeinsam mit HPC veröffentlichten Bericht „Automation and Digital Innovation in Port Logistics“ (2024) war der Hinweis, dass Widerstand aus der Belegschaft den Fortschritt bremsen könnte. Gleichzeitig unterstreicht Schmidmeir: In Anbetracht von Hunderttausenden fehlenden Lkw-Fahrern in den kommenden Jahren werde der Warenverkehr ohne Automatisierung nicht mehr aufrechtzuerhalten sein. Entscheidend für den Wandel seien die aktive Einbindung der Mitarbeitenden sowie gezielte Qualifizierungsprogramme.  

Auch das Publikum beteiligt sich rege an der Diskussion im Chat. Ein Vorschlag lautete: „Warum nicht Hafenarbeitsmärkte öffnen und Migranten registrieren?“

Geht es um Menschen, die Familien ernähren müssen, sind Kompromisslösungen gefragt. So lehnt die Gewerkschaft ETF Automatisierung nicht grundsätzlich ab. „Wenn Häfen gleichzeitig in die Qualifizierung der Beschäftigten investieren, kann Automatisierung auch neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen“, sagt Berardina Tommasi.

Auch Miguel Montesinos hält es für richtig, Betroffene von Anfang an einzubeziehen, sonst „entwickeln sie eine Abwehrhaltung“. Praxistauglich findet er den „Health Check“-Ansatz von HPC mit Mitarbeitergesprächen, der unter anderem Mitarbeiterinterviews umfasst, um Sorgen anzusprechen, Fragen zu beantworten oder den effektiven Einsatz von digitalen Tools zu prüfen, eine praxisnahe Lösung. „Jedes System muss sich an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen orientieren“, unterstreicht der Ingenieur. Um für alle Beteiligten einen fairen Zugang zu digitalen Werkzeugen zu gewährleisten, brauche es ein Steuerungsmodell – und das nicht nur für die verschiedenen Hafenakteure.  

Zentraler Punkt beim Wandel der Hafenarbeit bleibt die Finanzierung. ETF setzt sich für öffentlich finanzierte Schulungszentren ein. Bei der Frage, wie sich wirtschaftliches Wachstum, Arbeitsplatzsicherheit und soziale Gerechtigkeit in Einklang bringen lassen, sieht Ariane Colson in vielen Häfen „erhebliche Finanzierungslücken“ – vor allem fehle es an privatem Kapital.

„Die Meinungen liegen gar nicht so weit auseinander“, fasst die Moderatorin zusammen. Am Ende zeichnen die Teilnehmenden ein weitgehend einheitliches Bild davon, wie die ideale Arbeitswelt in den Häfen der Zukunft aussehen sollte. Günter Schmidmeir und Miguel Montesinos plädieren für mehr Zusammenarbeit – auch mit privaten Unternehmen. Ariane Colson betont, dass eine gerechte Transformation der einzige Weg sei, um Klimaziele zu erreichen, ohne Menschen zurückzulassen. Für Berardina Tommasi ist vor allem eines entscheidend: ein fairer Rahmen für den Wandel, der es den Beschäftigten ermöglicht, den technologischen Fortschritt aktiv mitzugestalten.   

Die vollständige Episode können Sie auf Youtube sehen: https://www.youtube.com/watch?v=sv1-XxBdrBk
Den Text hat die Journalistin Kerstin Kloss im Auftrag von HPC verfasst.