Degrowth, Nachhaltigkeit, Internalisierung externer Kosten: das waren nur einige der Themen, die Moderatorin Christina Prieser, Associate Partner bei HPC, mit ihren Gästen aus Wissenschaft und Praxis sowie dem Publikum aus mehr als 30 Ländern während der sechsten CONNECTING PORTS Talkshow am 13. Dezember 2023 diskutierte.
"Wir müssen das derzeitige Wirtschaftsmodell der Häfen überdenken", sind sich alle drei Diskussionsteilnehmer einig. Michael Horton, Berater für Hafenentwicklung bei der Weltbankgruppe und anderen Finanzinstitutionen sowie halbpensionierter Vizepräsident bei Moffat Nichol, erklärt, worin dieses besteht: Wachstum. Er führt immer größere Reedereifusionen, die zunehmende Kapazität von Containerschiffen und den damit verbundenen Ausbau der Hafenanlagen und ihrer Infrastruktur als Anzeichen dafür an. Wenn sich jedoch die Zusammenarbeit in den Häfen und das Management der Hinterlandanbindungen nicht verbessern, wird das weitere wettbewerbsgetriebene Wachstum der einzelnen Häfen nicht mehr lange zu bewältigen sein. Er bezweifelt auch die Notwendigkeit: Es muss genügend Kapazität vorhanden sein - aber nicht in jedem Hafen, sondern innerhalb einer Region als Einheit betrachtet.
Dr. Gordon Wilmsmeier, Direktor des Center for Shipping and Global Logistics (CSGL) und Professor an der Kühne Logistics University (KLU), weist darauf hin, dass die Folgen einer Störung, die ein großes Containerschiff betrifft, wesentlich größer sein können als bei kleineren Schiffen. Er rät daher zu überlegen, ob der Verkehr mit kleineren Einheiten nicht widerstandsfähiger wäre. Er sieht noch weitere Vorteile: Hafenanlagen und Fahrrinnen müssten weniger ausgebaut werden und die Häfen wären gleichmäßiger ausgelastet, da übermäßige Verkehrsspitzen vermieden würden. Michael Horton erklärt auch, dass kleinere Schiffe mehr Häfen anlaufen könnten, was wiederum die Vor- und Nachlaufzeiten auf dem Landweg verkürzen würde. Er glaubt jedoch nicht, dass immer größere Containerschiffe verhindert werden können: "Je größer das Schiff, desto geringer sind die Stückkosten pro Container." Wenn eine Reederei es nicht baut, wird es die Konkurrenz tun. Wenn ein Hafen sagt, er könne diese Schiffe nicht abfertigen, wird der nächste es möglich machen.
"In Zukunft müssen wir uns mehr auf den Wert als auf die Menge der Fracht konzentrieren", sagt Dr. Jason Monios, Professor für maritime Logistik an der Kedge Business School in Marseille, und führt einen weiteren Punkt an. Damit meint er zum einen die Auslastung der Containerriesen, die oft mit Gütern wie Abfall erreicht wird. Und zum anderen auf die Möglichkeit, auch mit weniger Umschlag in den Häfen wirtschaftlich zu arbeiten. Höhere Frachtraten sind nicht nur der Schlüssel dazu. Sie machen z.B. auch den Abfalltransport unwirtschaftlich. Gleichzeitig würde dies zu weniger Transporten insgesamt und damit sowohl zu geringeren CO₂-Emissionen als auch zu weniger Flächenverbrauch führen.
Steigende Preise beunruhigen die Zuhörer: Könnte dies nicht die Inflationsrate wieder in die Höhe treiben? Gordon Wilmsmeier und Jason Monios sind sich einig, dass höherwertige Fracht die steigenden Transportkosten verkraften kann, wie die Raten und Frachtströme während der Pandemie gezeigt haben. Es könnte auch zu mehr wertschöpfenden Prozessen in den Häfen führen. Die Freisetzung von Platz könnte auch Raum für Nicht-Hafenindustrien schaffen und die Wertschöpfung im Hafen diversifizieren. Auch Michael Horton befürwortet solche Erweiterungen, um den Häfen Stabilität für Investitionen und Zukunftsplanung zu geben.
Gordon Wilmsmeier und Jason Monios gehen sogar noch weiter: Die Frage von Christina Prieser, ob die Internalisierung externer Kosten, zum Beispiel für durch den Verkehr verursachte Umweltschäden, irgendwann auch erfolgreich sein könnte, bejahen die beiden. Die extrem hohen Frachtraten während der Pandemie hätten bewiesen, dass auch externe Kosten überwälzt werden könnten - zumal diese wahrscheinlich nur einen Bruchteil der Frachtsteigerungen während der Pandemie ausmachen würden. Die Einnahmen könnten in die globale Dekarbonisierung und die Förderung der Kreislaufwirtschaft fließen und die Länder unterstützen, die bisher am meisten unter dem Klimawandel gelitten haben. Jason Monios: "Der Transport von Waren ist so oder so teuer. Wenn wir auf die Anlastung der externen Kosten verzichten, um die Frachtraten niedrig zu halten, zahlen wir als Gesellschaft an anderer Stelle für die Folgen des Klimawandels und der Umweltverschmutzung."
Michael Horton skizziert eine Möglichkeit, wie eine solche Abgabe verpflichtend gemacht werden könnte: Kredite der Weltbank zum Beispiel, die häufig von Schwellenländern in Anspruch genommen werden, sind an die Bedingungen der Institution gebunden. Dazu könnte die Internalisierung externer Kosten über Umschlag- und Frachtpreise gehören sowie die Verpflichtung, Vorkehrungen zum Schutz vor den Folgen des Klimawandels, wie z.B. extremen Wetterereignissen, zu treffen und sich an Compliance-Regeln zu halten. Auch die sozialen Standards sollten auf diese Weise gesichert werden. Es ist jedoch wichtig, die Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen kontinuierlich zu überwachen, sobald sie finanziert sind. Für ihn ist die Finanzierungsquelle die Stelle, die die Führung im Transformationsprozess übernehmen muss und wird.
Christina Prieser fragt, ob Modelle wie die Doughnut-Ökonomie oder Degrowth dazu beitragen könnten, die Hafenwirtschaft zu reorganisieren. Jason Monios weist zunächst darauf hin, was die Modelle gemeinsam haben: nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen, als im gleichen Zeitraum ersetzt werden können. Die Theoretiker gingen davon aus, dass nach dem Wachstum ein Degrowth unvermeidlich ist. Das Ziel war jedoch nicht, der Wirtschaft zu schaden, sondern sie wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Gordon Wilmsmeier wirft eine andere Frage auf: "Wie können wir die Ressourcen, die derzeit von den Industrieländern über ein nachhaltiges Maß hinaus verbraucht werden, für die Entwicklung der Schwellenländer nutzen? Vielleicht müssen wir zum Beispiel das Wachstumsstreben in Europa einschränken und gleichzeitig die Infrastrukturinvestitionen in den Schwellenländern intelligenter organisieren, damit sie innerhalb der Sicherheitsgrenzen nachhaltig sind." Es geht darum, die vorhandenen Ressourcen besser und intelligenter als bisher zu nutzen und herauszufinden, was die 'richtige' Infrastruktur für die Zukunft ist. Dies ist jedoch aufgrund der langen Planungs- und Bauzeiten schwierig.
Jason Monios ist davon überzeugt, dass die Hafenwirtschaft konsequenter auf Nachhaltigkeit setzen muss, um ihre langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten: "Andernfalls werden wir nicht in der Lage sein, die noch nie dagewesenen Risiken und Herausforderungen zu bewältigen." In Zukunft müssten die Verträge Möglichkeiten wie extreme Wetterereignisse und einen partnerschaftlichen Ansatz zu deren Bewältigung durch Prävention beinhalten. Gordon Wilmsmeier ist sich sicher, dass dies geschehen wird. Die Grundlage, sagt er, ist die Erkenntnis, dass die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Akteuren und eine gemeinsame Vision mit einem klaren gemeinsamen Fahrplan der einzige Weg nach vorne ist. "Leider läuft uns die Zeit davon. Wir müssen uns dringend zusammensetzen, klare Ziele und Vorschriften formulieren und sie dann umsetzen."
In seinem Schlusswort beruhigt Jason Monios die Hafenindustrie: "Der Handel wird in Zukunft teurer sein und mehr Störungen ausgesetzt sein. Aber es wird immer noch viel zu tun geben für die maritime Industrie. Vielleicht wird das Stück vom Kuchen kleiner, aber wertvoller sein. Der Rat an die Hafenbetreiber lautet daher, sich mehr auf Flexibilität und Diversifizierung der Einnahmequellen zu konzentrieren und die Folgen des Klimawandels zu berücksichtigen. Dies wird engere Beziehungen zwischen dem öffentlichen Sektor und den kommerziellen Akteuren erfordern. Wir brauchen einen klaren Zeitplan mit festen Zielen - aber nicht tausend kleine Vorschriften. Wir sollten auf die Innovationskraft der Hafenwirtschaft vertrauen. Der Wettbewerb ist dafür notwendig. Er darf nicht unterdrückt werden." Auch Michael Horton betont, dass es ohne Wettbewerb nicht gehen wird. Für ihn ist es wichtig, dass sich alle Beteiligten ihrer Verantwortung für alle Aspekte der Nachhaltigkeit - ökonomisch, sozial und ökologisch - bewusst werden, um die Häfen für die Herausforderungen der Zukunft resilient zu machen.
Gordon Wilmsmeier weist abschließend darauf hin, dass es - neben all den notwendigen mittel- und langfristigen Umsetzungsplänen - auch kurzfristige und leicht zu erntende Früchte gibt, wie die Versorgung von Schiffen im Hafen mit Landstrom und die Elektrifizierung von Containerterminals. Für die schnellstmögliche Umsetzung müsste allerdings auch die Energiewirtschaft als Partner intensiv mitarbeiten.
Jeder, der sich die Veranstaltung im Original anhören möchte, kann dies über diesen Link tun. Neben vielen praktischen Beispielen enthält die Aufzeichnung auch hochinteressante Aussagen über die Bedeutung der Automatisierung in den Häfen und ihre möglichen Auswirkungen auf die Arbeitsplätze, über die widersprüchlichen Rollen der Häfen als öffentliche Infrastruktur einerseits und als wettbewerbsfähige Wirtschaftseinheit andererseits sowie über die Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen Akteuren, über die Energieversorgung und über andere mögliche Wege zu nachhaltigen Häfen. Ein Klick lohnt sich!
JournalistKerstin Zappfasst das Ereignis für HPC zusammen.