Zur fünften CONNECTING PORTS-Talkshow am 5. Oktober 2023 hatte HPC Hamburg Port Consulting (HPC) seefeste und IT-affine Gäste an Bord geholt, um Richtung maritime Digitalisierung abzulegen. Ein erfahrener Kapitän, eine Expertin für digitale Transformation in der Containerschifffahrt und ein Hafen-Koordinator für Großschiffs-, Feeder- und Binnenschiffsverkehre gingen gemeinsam auf große Fahrt. Moderatorin Christina Prieser, Associate Partner bei HPC, hielt Kurs auf die Zukunft und navigierte durch eine spannende Diskussion über den Stand der Standards.
„Bei der Digitalisierung der maritimen Wirtschaft gibt es seit langem einen Rückstand“, drosselt Kapitän Subramaniam Karuppiah das Tempo zu Anfang der gut einstündigen Talkshow mit interkontinentalem Publikum. Der General Manager der Port Klang Authority in Malaysia erinnerte an Probleme bei der Datenübertragung während der Pandemie. Als scheidender Präsident des internationalen Hafenverbandes IAPH (International Assosiation of Ports and Harbors), auf den Anfang November der Hamburger Hafenchef Jens Meier folgt, fordert er: „Wir müssen Informationen schnell übermitteln, damit Unternehmen erfolgreich sein können.“
Für die Navigation stehen drei zukunftsweisende, digitale „Hilfsmittel“ bereit – das Maritime Single Window (MSW), Port Community Systems (PCS) und Port Call Optimization (PCO). Wie lässt sich damit Kurs halten? Die Moderatorin will von Kapitän Subramaniam Karuppiah zunächst wissen, was MSW und PCS unterscheidet. „Während das PCS den Warenverkehr, Hafenbetrieb und logistische Abläufe steuert, kommuniziert das MSW mit einer Vielzahl von Behörden“, differenziert er. Für den Warenaustausch müssten beide Systeme verbunden werden – alles andere als trivial.
Weil die maritime Wirtschaft auf dem Weg zur Digitalisierung viele Seemeilen zurücklegen muss, haben sich mehrere große Containerreedereien 2019 zur Digital Container Shipping Association (DCSA) zusammengeschlossen. Ihr Ziel: Standards setzen und somit digitale Interoperabilität ermöglichen. Die Moderatorin fragt Slavia Jumelet, Produktverantwortliche für Schiffsproduktivität bei der DCSA in Amsterdam, welche Rolle MSW und PCS bei der DCSA spielen. Daten müssten zwischen unterschiedlichen Containerreedereien fließen, so Slavia Jumelet, aber auch zu den Terminals sowie Häfen, und dort verschiedene Terminal Betriebssysteme (TOS) plus das jeweilige PCS unterstützen. „Wir stellen sicher, dass Standards, die wir schaffen, tatsächlich funktionieren und für alle Beteiligten der Lieferkette nützlich sind“, betont sie.
„2.000 Häfen, 6.000 Terminals, 18.000 Frachtschiffe weltweit brauchen jeden Tag eine Verabredung miteinander – rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr“, skizziert Gerald Hirt die anspruchsvolle Aufgabe. Wer drei Leute nach der Definition der voraussichtlichen Schiffsankunft im Empfangshafen (Estimated Time of Arrival, ETA) frage, erhalte verschiedene Antworten – und das mache es „unmöglich, effektiv zu arbeiten“. Deshalb kommt für den Geschäftsführer beim Hamburg Vessel Coordination Center HVCC, das Mitglied der Internationalen Taskforce für die Optimierung von Hafenanläufen ITPCO (International Taskforce Port Call Optimization) ist, der Datenaustausch zwischen Schiffen und Umschlagsprozessen durch Port Call Optimization einer Revolution gleich – weg von unverbundenen Systemen wie Telefon und E-Mails mit PDF-Anhängen, hin zu Standards. Drei verschiedene Datengruppen sind ihm zufolge für die maritime Digitalisierung entscheidend: Neben digitalen Karten mit nautischen Daten nennt er Programmierschnittstellen für Anwendungsprogramme (Application Programming Interfaces, APIs), um operative Daten auszutauschen, sowie den Austausch mit Behörden durch ein MSW.
Vom Hamburger Hafen bis zu weltweiten Standards ist es allerdings ein weiter Weg, zumal der Digitalisierungsgrad einzelner Häfen, Terminals, Carrier und anderer Akteure sehr unterschiedlich ist, wie Slavia Jumelet betont. Für eine Standardisierung schauen sie und ihre Kolleg:innen sich die Prozesse sehr genau an: Welche Daten müssen in welcher Phase des Prozesses bereitgestellt werden, und wer muss darauf reagieren? „Der Sinn der Standards besteht darin, dass alle Plattformen miteinander kommunizieren“, erklärt sie. Kapitän Subramaniam Karuppiah pflichtet bei, überall auf der Welt dringend „die Standards zu vereinheitlichen“. Christina Prieser will das nicht stehen lassen: Warum hat die Branche dann so lange abgewartet und die Internationale Seeschifffahrtsorganisation IMO erst ab Januar 2024 eine Verordnung über ein MSW erlassen? Der Kapitän räumt ein, es habe „etwa fünf Jahre gedauert, bis wir uns auf die Umsetzung geeinigt haben“. Seiner Meinung nach liegt das daran, dass „viele Häfen auf der ganzen Welt ihre eigenen Herausforderungen haben“. Jetzt sollten Länder und Häfen „von sich aus Audits durchführen, um sicherzustellen, dass sie die geforderten Standards einhalten“, schlägt er vor. Die meisten Anwendungen für das MSW seien bereits etabliert, er sieht alles auf einem guten Weg.
Das HVCC hat 2009 übrigens in der Luftfahrtbranche eine Blaupause gefunden, wie Gerald Hirt erläutert: „Ihre Lösung bestand in einem kooperativen Ansatz für die Datenverfügbarkeit und der Bereitstellung klarer, genauer und transparenter Informationen.“ Bei sensiblen Daten funktioniere das natürlich nur mit gegenseitigem Vertrauen, Verträgen über den Datenaustausch und Cybersicherheit. Aber die Verantwortlichkeiten der sogenannten Data Ownership erwiesen sich als „größtes Problem“. Gerald Hirts Beispiel: Als das HVCC 2018 damit begann, Daten mit dem Hafen Rotterdam auszutauschen, habe die technische Einrichtung nur einen halben Tag gedauert. „Aber für die Vereinbarungen über den Datenaustausch haben wir sechs Monate gebraucht“, berichtet er.
Bereitschaft zu vertrauensvoller Zusammenarbeit bemerkt Slavia Jumelet bei den DCSA-Gründungsmitgliedern und darüber hinaus: Gemeinsam mit anderen Organisationen wie dem internationalen Speditionsverband FIATA oder der Gesellschaft für weltweite Finanzkommunikation SWIFT verfolgt die DCSA in der FIT Alliance das Ziel, die Digitalisierung des internationalen Handels zu standardisieren. Erster Erfolg: Inzwischen lassen sich Buchungsprozessdaten automatisch in die elektronische Bill of Lading übernehmen.Dadurch können die Terminals die Fracht effizienter und schneller abwickeln und den papierlosen Handel vorantreiben, sagt Slavia Jumelet.
Zwar war sich die Runde einig, dass die maritime Wirtschaft bei digitalen Standards noch eine weite Strecke in rauer See vor sich hat. Die angespannte geopolitische Lage hält Kapitän Subramaniam Karuppiah dabei aber für „kein großes Problem“.
Die vollständige Session Connecting Ports #05 ist hier als Video abrufbar