Für frischen Wind sorgten die Gäste der vierten Connecting Ports-Talkshow von HPC am 5. Juli 2023. Experten aus jungen, innovativen Unternehmen erläuterten, welchen Mehrwert KI der Hafenwirtschaft bringt. Moderatorin Christina Prieser, Associate Partner bei HPC, hakte hartnäckig nach und kanalisierte Publikums-Chatfragen über Kontinente hinweg. Wenn revolutionäre Technologie auf eine konservative Branche trifft, schlagen Wellen hoch – aber am Ende der Session waren alle Wogen geglättet, Neugierde überwog.
„Verzögerungen, Engpässe und CO2-Emissionen“ – mit diesem Dreiklang legt Adriaan Landman zu Beginn der gut einstündigen Talkshow den Finger in die Wunde von Hafen- und Terminalbetreibern. Eine Erklärung für den Missstand liefert der COO & Co-Founder des Tech-Startups AllRead in Barcelona gleich mit: „Über 95 Prozent” der Akteure hätten „keine automatisierten Lösungen, um ein- und ausgehende Container und Fahrzeuge zu kontrollieren“. Hier biete KI-basierte Technologie zur automatischen optischen Zeichenerkennung (Optical Character Recognition, OCR) neue Möglichkeiten, um Prozesse zu optimieren und die Effizienz zu steigern.
Das will ein Zuschauer so nicht stehen lassen, schließlich gebe es in großen Containerterminals Gate-Kontrollsysteme. Er möchte wissen, welchen Mehrwert KI gegenüber der traditionellen Nummernschild- oder Waggonnummern-Erkennung und Schadenskontrolle mit Hilfe von Überwachungskameras tatsächlich liefert. Adriaan Landman erklärt, dass eine auf Deep Learning basierende OCR-Lösung von „technologischen und finanziellen Beschränkungen“ bestehender Systeme befreie, weil sie die Hardware-Abhängigkeit verringere. KI könne jede beliebige Kamera an der richtigen Stelle einsetzen, Bilder in Echtzeit verarbeiten und Ergebnisse an das Terminal-Betriebssystem liefern. „Dadurch wird die Zugangskontrolle für Häfen jeder Größe wesentlich kosteneffizienter“, nennt er ein wichtiges Argument für den Einsatz in Häfen.
„Es geht darum, den Durchsatz zu erhöhen, die Betriebskosten zu senken, die CO2-Emissionen zu reduzieren, aber auch die Sicherheit zu erhöhen“, fasst Stephan Piworus, Vize Präsident Europa beim Startup atai, mit Hauptsitz im indischen Hyderabad, die Vorteile von KI für maritime Abläufe zusammen. Ausgebremst werde das bislang durch eine Hafenumgebung mit vielen unterschiedlichen Systemen, „die bei einigen Betreibern nicht gut zusammenspielen“. Wichtig sei stattdessen ein ganzheitlicher Ansatz vom Gate über die Schiene bis hin zu Lägern.
Die verunsicherte Hafenwirtschaft lässt sich allerdings nicht so einfach von KI überzeugen. Als Diplomkaufmann mit langjähriger Joberfahrung bei einem Terminalbetreiber weiß Stephan Piworus, wie sehr es knirscht, wenn „eine konservative Branche“ auf neue Technologien trifft: „Man sieht nicht das Potenzial, sondern im Moment eher das Risiko.“ Das reicht vom Misstrauen hinsichtlich des Servicegrads von Startups, denen in der Branche Erfolgsgeschichten fehlen, bis zur Angst vor einer kompletten Umwälzung des Hafensektors. Stephan Piworus hält es aber nicht für entscheidend, wie lange ein Unternehmen in der Branche ist: „Es geht mehr um das Konzept und darum, wie einfach es zu warten und zu bedienen ist.“
Startups, die ursprünglich gar nicht aus der maritimen Wirtschaft kommen, scheinen umso mehr neue Perspektiven und agile Problemlösungsansätze einzubringen. Bei AllRead steigt Adriaan Landman zufolge nicht nur die permanente Lernkurve der Entwickler, auch die Algorithmen lernen ständig dazu. Einmal installierte KI-Lösungen ließen sich dadurch technisch immer weiter verbessern und an neue Regeln oder Prozesse, die in den Betrieb integriert werden müssen, anpassen.
Doch wie lange benötigen Startups von der Idee bis zum Prototyping? „Meiner Erfahrung nach endet diese Phase oft überhaupt nicht“, lautet die überraschende Antwort von Alois Krtil, CEO beim Artificial Intelligence Center Hamburg (ARIC). Ja, es sei eine große Herausforderung, laufend in einem Protoyping-Prozess festzustecken. „Aber“, holt der Wirtschaftsinformatiker aus, wenn sich Startups „zum Beispiel gerade mit generativer KI beschäftigen, also neuen Paradigmen, die wirklich schnell sind“, könne das die Entwicklungszeiten um bis zu 50 Prozent reduzieren. Bei ARIC gebe es „die erste Produktversion in etwa vier bis sechs Monaten“. Kritische Anmerkung von Stephan Piworus: Ein schneller Prototyp aus der Laborumgebung funktioniere oft nicht unter Terminalbedingungen, wenn beispielsweise Sonnenauf- und -untergänge Kamerafunktionen einschränken. Deshalb hält er es „für sehr wichtig, die Geschäftsprozesse zu verstehen“.
Publikumsfragen prasseln per Chat auf die Diskussionsrunde ein: Wie lassen sich Effizienz und Kosten mit KI verbessern? Alois Krtil schätzt die Kosteneinsparungen „nach allem, was wir in den vergangenen Jahren in verschiedenen Sektoren gelernt haben“ in B2B-Umgebungen auf „bis zu 50 Prozent“. Einwand der Moderatorin, ob die Hafenindustrie mit ihren Herausforderungen nicht einzigartig sei? Alois Krtil erklärt, bei grundlegenden Prinzipien wie Datenanalyse, Echtzeitfähigkeit von Systemen oder energie- und kosteneffizienten Hardware-Entwicklungen gebe es „natürlich Überschneidungen mit anderen Branchen“. Für die Überwachung im Hafen eigneten sich zum Beispiel Anwendungen, die genauso in Smart Cities für den Verkehr oder kritische Infrastruktur zum Einsatz kommen.
Nächster Knackpunkt: Wie sicher sind KI-Lösungen, auch mit Blick auf die Einhaltung einschlägiger Vorschriften? Schließlich operieren Häfen mit vielen sensiblen Daten zu Schiffsbewegungen, Ladungsinformationen oder Zoll. Adriaan Landman erläutert, dass AllRead alle nationalen Cybersecurity-Anforderungen in Spanien erfülle, aber ständig auf der Hut sei, „weil Kunden teilweise noch höhere Erwartungen haben und möglicherweise neue Verordnungen antizipieren“. Zur Diskussion, ob Datenschutzgesetze Innovationen behindern, hat Alois Krtil eine klare Meinung: „Wir brauchen mehr progressive Regulierung.“ Der EU Data Act weise in die richtige Richtung, müsse aber „wirklich pragmatisch implementiert werden“.
Abschließende Frage in die Runde, wie die Zukunft von Hafen-KI aussehen könnte? Während Alois Krtil einen „starken Trend zu vertrauensvoller KI“ beobachtet, ermutigt Stephan Piworus, frühzeitig mit KI zu starten und Mitarbeitende vorzubereiten, „damit nicht die Angst die Neugier überwindet“. Letztlich sei KI nur „Mittel zum Zweck“, sagt Adriaan Landman. Es gelte, Probleme zu lösen – egal, ob mit KI, digitalem Zwilling oder Automatisierung.
Die vollständige Session Connecting Ports #04 ist als Video hier abrufbar.